Nach den Verbrannten Wörtern - Ergänzungen

36c3, Sprache, Antifaschismus

Bianca Kastl

Sicht von der Bühne von Chaos West aus dem Vortrag Verbrannte Wörter hinaus
Auf dem 36C3 hatte ich die Ehre einen Vortrag zu «Verbrannte Wörter - Sprache des Nationalsozialismus gestern und heute» zu geben.

Ich möchte Anmerkungen oder Fragen hier noch etwas ergänzen, manches war in der beschränkten Zeit vielleicht nicht umfassend zu erklären.

Danke für das Feedback und die konstruktiven Beiträge (ein Vortrag mit dieser Thematik von einer trans Frau lädt dann doch wieder zum ein oder anderen unpassenden Kommentar ein).

Den Talk als Aufzeichnung gibt es hier bei media.ccc.de oder alternativ bei YouTube.

Die Slides dazu gibt es unter bkastl.de/36c3.

Anmerkungen zu den Slides selbst

Ich habe im Nachhinein nach dem Talk noch feststellen müssen, dass ein Vortrag dieser Art mindestens zwei Arten von Anführungszeichen braucht. Die, die Wörter als möglicherweise verbrannt markieren und die, die Anführungszeichen im unbedenklichen Sinne sind.
Ich habe das noch entsprechend ergänzt.

Anmerkungen zu «Jedem das Seine»

Ursprünglich wollte ich dazu gar nichts sagen – für mich war das irgendwie bekannt. Irgendwie dachte ich, dass die Geschichte der Wendung eigentlich als allgemein bekannt gelten kann.
Nun, heute erst ist mir die Wendung in den sozialen Medien wieder begegnet, 2018 erst gab es eine Werbekampagne einer deutschen Modefirma, auf die zurecht Protest kam.
Daher habe ich die Wendung im Rahmen der Novemberpogrome 1938 erklärt, weil das auch erklärt, warum gegen die Verwendung der Wendung meist auch der Zentralrat der Juden protestiert.
Ich finde es aber müßig, dass hier immer erst Vertreter:innen von Opfergruppen des Nationalsozialismus dagegen protestieren müssen. Es ist auch unser aller Aufgabe, im Speziellen als Deutsche, uns hier entschieden gegen die unsachgemäße Verwendung dieser Wendung auszusprechen.
Die einzige sachgemäße Verwendung der Wendung ist m.E.n. heute nur im Kontext des Konzentrationslagers Buchenwald zu sehen. Eben das habe ich so entsprechend erklärt.

Reaktionen auf Twitter bringen mich noch zu einer kurzen Ergänzung zum Design der Wendung am Tor des Konzentrationslagers Buchenwald selbst: Es hat Gründe, warum der Schriftzug in der Typografie des Bauhaus gesetzt ist. Franz Ehrlich, selbst Häftling im Lager, hat diesen Schriftzug bewusst in Anlehnung an das Bauhaus visuell so gesetzt. Der Stil des Bauhaus aber war bei den Nationalsozialisten verpönt.
Das ist Angesichts dieser unmenschlichen Wendung ein Detail, das als subtiler Akt des Widerstands zu sehen ist.
Ein brutaler und menschenfeindlicher Spruch gesetzt in damals verpönter Typografie.
Mehr zu Franz Ehrlich und dem Hintergrund des Schriftzugs

Anmerkungen zum Fragenteil

Wann sollten wir Begriffe als verbrannt akzeptieren und wann diese Begriffe eher wieder positiv belegen?

Nun, das ist eine Abwägung. Eine Abwägung, die wir aber nicht von außen treffen sollten, sondern eine Abwägung, die vor allem mit den betroffenen Gruppen zu treffen ist. Letztlich ist die Etymologie, die ich ausführlich erklärt habe, hier gar nicht der entscheidende Punkt.

Die Frage ist hier aber auch immer, ob dieser Begriff sprachlich so elementar ist, dass wir ihn brauchen. Viele Begrifflichkeiten im Nationalsozialismus sind doch arg konstruiert. Viele Begrifflichkeiten wurden aus anderen Bereichen übertragen und sind meist sowieso unpassend oder schlichtweg alt.
Es ist vollkommen okay, wenn es Wörter gibt, die quasi als sprachliche Mahnmale bestehen und nur mit dem Kontext des Nationalsozialismus in Verbindung stehen.
Die meisten Begriffe, die ich erwähnt habe, waren meist nicht als absolut «verbrannt» zu sehen, sondern immer auch in einem Kontext.
Das habe ich bei Aktion genauer erklärt, es ist vollkommen okay eine elektrische Gleichschaltung zu bauen.
Ich habe aber nicht das Bedürfnis, aus allem sprachlich eine uneinnehmbare Festung zu machen oder unachtsame Menschen als »blind« zu bezeichnen. Wer das tut, will entweder bewusst provozieren oder es ist dieser Person egal, ob sie mit der unsachgemäßen Verwendung bestimmter Begriffe Gruppen von Menschen diskriminiert.
Die deutsche Sprache ist sehr flexibel, es muss nicht immer der eine Begriff sein, es gibt meist noch genügend andere. Mehr Sprachbegriffalternativenfindungskreativität bitte.

Das führt mich auch dann zu einer tiefergehenden Erklärung zu meiner Haltung zu «versifft».

Warum ich es nicht für sinnvoll erachte, «versifft» als politischen Kampfbegriff positiv neu belegen zu wollen

Es gibt Wendungen, die es wert sind, neu belegt oder umbelegt zu werden.
Schwul zum Beispiel. Schwul beschreibt einen Zustand, der es wert ist, wertfrei belegt zu werden. Schwul zu sein ist einfach nur ein Zustand, der bei wertfreier Betrachtung einfach nur ein Zustand ist.
Einer sprachlichen Belegung von schwul als Schimpfwort sollten wir entgegentreten, da dies auch allen Menschen hilft, die schwul sind. Es baut ein Stigma ab und normalisiert das Schwulsein.
Gleiches gilt für einen Begriff wie gay. Die Ursprungsbedeutung von gay ist fröhlich, vergnügt. Das ist doch was, wofür ich gerne eintrete. Einen positiven Begriff wieder von negativen Konnotationen zu befreien.

Bei «versifft» ist das anders. Ich habe mich mit der Geschichte dahinter – im Kontext des Nationalsozialismus – ausführlich beschäftigt und kann nicht positives darin finden, «versifft» neu besetzen zu wohlen, zumindest für den politischen Kontext, in dem das vielleicht gefordert werden könnte.

Warum? «Versifft» ist als Wort ohnehin eine saloppe Bezeichnung. Wer hat vielleicht Interesse «versifft» neu zu besetzen? Menschen, die an Syphilis erkrankt sind. Der Zustand heißt ja eigentlich «an Syphilis erkrankt».
«Versifft» oder versyphilisiert ist ein Begriff, der ersonnen wurde, um Menschen in der damaligen Zeit zu stigmatisieren.
Unterschied zu heute: Syphilis war als Krankheit kaum behandelbar. Eine Syphilis-Erkrankung ist daher heute eine kontrollierbare Erkrankung, kein Todesurteil mehr. Allerdings schwebt in der Syphilis halt immer wieder die saloppe Bedeutung von «versifft» mit. Menschen, die Syphilis haben, müssen ja schmutzig und ekelig sein. In genau dieser Bedeutung verwenden wir «versifft» heute eigentlich.

Auf Basis dieses Begriffes eine Neubelegung zu fordern, ist es daher meines Erachtens wert, aber nur für den Kern der Syphilis, nicht für den politischen Kontext. Wir wollen ja vielleicht nicht unbedingt die direkte Bedeutung der «an Syphilis erkrankten» neu besetzen, nein, eigentlich wollen wir ja den übertragenen Begriff im politischen Kontext neu belegen.
Im politischen Kontext ist zumindest die Prägung von «versifft» eher wieder in der «moralischen Verheerung» zu sehen, die sich schon bei Hitler fand.

Es geht also eigentlich nicht um den – eigentlich stigmatisierenden – Wortkern der Syphilis, es geht uns um was anderes.
Wir wollen eine Bezeichnung für eine politische und moralische Haltung neu besetzen und arbeiten uns da einem Kampfbegriff der Rechten ab.
Das ist unnötig kompliziert und – ganz ehrlich – ich will mich nicht von anderen negativ bezeichnen lassen. Weil was wäre dann die Gegenseite dazu: schön, sauber, rein, moralisch einwandfrei?
Wollen wir wirklich einen Begriff verwenden, der das Gegenteil davon als rein und schön darstellt? Als nicht schmutzig? Eher nicht.
Wir spielen hier in einer Verdrehung der Bedeutungen mit, der wir eigentlich entgegenwirken sollten.
Die Welt ist hier natürlich nicht schwarz weiß, aber ich halte es für weit sinnvoller, positive Begriffe anzustreben und von Konnotationen zu befreien, als negative weiter verdrehen zu wollen.

Die Entstigmatisierung der «Versifften» im wahrsten Sinne des Wortes muss unabhängig davon aber klar weiter stattfinden.

Lasst uns aber für die politische Ebene lieber einen positiven Begriff nutzen, der auch klar abtrennt, was wir sind und was die, die das als Feindbild sehen wollen, eben nicht sind: Gutmensch.

Das Gegenteil zum Gutmensch ist was? Naja, eben kein Gutmensch. Gutmensch ist historisch gesehen unproblematisch und grenzt auch klar ab, was die anderen sind: nicht politisch korrekt, etc.
In dem Versuch der negativen Belegung eines Begriffs zeigt sich vor allem die böse Absicht in den Ansichten derer, die das wollen.

Ich hoffe, dass diese lange Erklärung zumindest etwas mehr Klarheit in diese Frage aus meiner Sicht bringt.
Das ist auch keine Antwort, die ich als absolut ansehe. Aber vielleicht regt das dann doch zum bewussten Nachdenken über Begrifflichkeiten an.