Name richtig, Meldeadresse falsch – Erfahrungen mit der Änderung eines Personenstands

trans, Bürokratie, TSG

Bianca Kastl

Eigentlich wollte ich das schon mal vor ein paar Jahren schreiben, kam aber nicht dazu. Jetzt ist mir aber wieder gerade was zu dem Thema vor die Füße gefallen, also warum nicht. Außerdem ist heute internationaler Tag gegen Homo-, Trans- und Bi-Feindlichkeit. Passt ja auch irgendwie ins Thema.

Hintergrund

Ich bin trans und habe aufgrund des am besten gestern abzuschaffenden Transsexuellengesetzes (Gesetzestext) meinen Personenstand formal korrigieren lassen. Nennen wir es mal so.

Dazu bin ich formal ein Gerichtsverfahren durchlaufen an dessen Ende ein Urteil stand, was meinen Personenstand formal veränderte und zwar in den Kategorien Vorname und der formalen Zugehörigkeit zu einem Geschlecht.

Gerichtsverfahren erfolgreich – und nun?

Ich habe also einen hochformellen Gerichtsbeschluss des Amtsgerichts Stuttgart, der aufgrund seines Geschäftswertes auch nur von einem Landgericht oder höher angegriffen werden kann. Ein sehr offizielles Dokument also. Soweit so gut.
Das war es aber auch schon, denn bis auf die Mitteilung an mein für meine Geburtsurkunde zuständiges Standesamt ist dann erstmal gar nichts von selbst passiert.

Erstmal ganz einfach: eine neue Geburtsurkunde

Ich habe dann also erst einmal bei dem zuständigen Standesamt eine neue, korrekte Geburtsurkunde angefordert. Das war auch kein Problem so weit. Keine Diskussion, keine Probleme.
Problematisch ist aber nun die Tatsache, dass alles, was auf dieser Geburtsurkunde aufbaut, ja auch nicht mehr stimmt. Also irgendwie alles. Also setzte ich eine Reihe von vielen, vielen Änderungen in Gang.

Änderungen

Hier eine chronologische Reihenfolge, von Stellen, die ich dann schriftlich von meiner Personenstandsänderung in Kenntnis gesetzt habe:

  • Banken
  • aktueller Arbeitgeber
  • ehemalige Arbeitgeber (Führungszeugnisse)
  • Rentenversicherung
  • Krankenkasse
  • sämtliche sonstige Versicherungen
  • Unternehmen, mit denen ich laufende Verträge habe (Strom, Gas, Telekommunikation, ÖPNV, Zeitungsabos, Altersvorsorge,…)
  • Schulen und Hochschulen (Zeugnisse)

Waren so in etwa 18 Briefe, die ich hochformell verschicken musste.

Sowie auf elektronischem Wege:

  • Accounts bei Netzwerken oder elektronischen Dienstleistern, sofern das nicht ohne weiteres selbst möglich gewesen ist (XING, PayPal)

Eine ganze Menge. Da ich das aber alles sehr zügig den entsprechenden Stellen mitgeteilt habe, war ich da zumindest rechtlich erst mal auf der sicheren Seite, falls mir da irgendwer komisch gekommen wäre.

Ab dem Punkt konnte ich mich dann erstmal mit den offiziellen Stellen beschäftigen, weil die anderen waren ja erst mal beschäftigt.
Denn mein Personalausweis, mein Führerschein als auch mein Schwerbehindertenausweis haben ja offizielle Stellen, bei denen das beantragt und geändert werden will.

Personalausweis

Es ist ungewöhnlich, dass es schon im Bürgerbüro der Stadt Stuttgart mein Elan etwas eingebremst wurde. So ein Personalausweis mit richtigen Daten ist schon sehr hilfreich, dachte ich. Legte also im Bürgerbüro den Gerichtsbeschluss vor, der mein Anliegen als absolut ernsthaft attestierte und dann musste die Dame im Bürgerbüro erst mal kurz telefonieren. Mit der Eberhardstraße in Stuttgart. Dort sitzt das statistische Amt der Stadt Stuttgart und dort werden auch sehr zentrale Daten verwaltet. Wie ich nachher feststellen musste, gab sie telefonisch eine Änderung durch. Es fühlte sich für mich so an, als würde sie gerade mit der Datenbankadministration höchstpersönlich reden, um ein UPDATE-Statement auszulösen, für das sie keine Rechte hatte.

Eigentlich ist so eine Personenstandsänderung gesetzlich festgehalten. In welchen Fällen sich was ändern kann.
Nur gab es meinen Fall nicht. Ein Fall, der sowohl laut Personenstandsgesetz und Passgesetz explizit als «kann passieren» vorgesehen ist, war rein technisch nicht so ohne Weiteres möglich. Vielleicht bin ich die einzige Person, bei der die Mitarbeiterin diesen Fall je haben wird, aber naja: da war ich.

Ich wurde dann auf zwei Tage später vertröstet. Zwei Tage später bekam ich dann auch meinen vorläufigen Personalausweis und nach etwa einer Woche meinen offiziellen Personalausweis mit den korrekten Daten.
Es ging nach Anfangsschwierigkeiten dann eigentlich schnell durch. Dachte ich, so ganz wohl doch nicht. Aber dazu später.

Währenddessen…

… hatte schon mein Telekommunikationsanbieter 1 meine Daten einwandfrei angepasst. 2 Tage später. Respekt.
Respekt auch an meine Bank im tiefsten Bayern, die alles – also Daten und neue Karten – innerhalb von nur 9 Tagen durchbekommen hat. Also inklusive Kreditkarte (!).
Mein Stromanbieter schickte mir ein Schreiben, dass sie den Fall an die Rechtsabteilung weitergegeben haben.
Von meinem Gasanbieter sollte ich erst wieder in fünf Monaten was hören. So lange war deren Fachabteilung daran beschäftigt.
Meine Krankenkasse schickte mir dann – vom Timing äußerst ungeschickt, aber passiert halt – eine neue Gesundheitskarte mit alten Daten. Weil die Gesundheitskarten währenddessen auf Generation 2 aktualisiert wurde, meine Änderung aber erst kurz nachher kam.

Führerschein

Mit meinem Personalausweis ging ich dann zur ständigen Zulassungsstelle und beantragte meinen Führerschein. An sich auch kein großes Problem, aber mir wurde bei der Änderung aber ein Hinweis mitgegeben: sollte ich in der Zwischenzeit in eine Polizeikontrolle kommen gelangen, solle ich vielleicht lieber das entsprechende Gerichtsurteil mitnehmen, um die Diskrepanz von Personalausweis und Führerschein erklären zu können. Da das im Ausland vielleicht nicht so ohne weiteres akzeptiert werden würde, wurde mir für den Übergangszeitraum von Fahrten im Ausland erst mal abgeraten. Oookayy.

Versorgungsamt

Im Versorgungsamt musste ich meinem Gegenüber dann erstmal sehr ausführlich den genauen Sachverhalt erklären und was genau ich denn jetzt eigentlich ändern lassen wolle. Ich war halt dieser eine Fall, der statistisch weniger als einmal in der Karriere von Verwaltungsmitarbeitenden vorkommt.
Im Gegenzug wurde mir immerhin erklärt, dass ich mit dem Schwerbehindertenausweis den Nahverkehr nutzen könne. Haben beide Seiten zumindest was gelernt.

Währenddessen…

… bekam ich Post von meinem ehemaligen Gymnasium. Sie haben mein Anliegen verstanden und werden diesem auch gerne nachkommen. Nur haben sie gerade keine passende Software zur Erstellung eines entsprechenden Abiturzeugnisses. Sie hätten aber schon am Kultusministerium nachgefragt, die suchen in den Archiven noch nach einer lauffähigen Version der Software. Vor meinem inneren Auge ging da wer ins Archiv und pustete Staub von einem alten 386er und suchte ein Farbband für den Nadeldrucker.

Meine Hochschule, an der ich meinen Master gemacht habe, meldete sich und verlangte eine Geburtsurkunde. Das war interessanterweise die einzige Stelle, die meine Geburtsurkunde sehen wollte. Brachte ich brav vorbei und es wurde dann entsprechend an die Fakultät weitergeleitet.

Ich rief dann auch noch bei der Rentenversicherung an, um mich nach dem Stand zu erkundigen. Bei der Rentenversicherung hieß ich zu dem Zeitpunkt «Herr Bianca Kastl». Diese Änderung kam durch eine Mitteilung meines Arbeitgebers zustande, während mein Brief an die Rentenversicherung immer noch irgendwo bearbeitet wurde.

Diskussionen online

Onlinedienste sollten doch mit solchen Änderungen weniger Probleme haben, dachte ich. Naja. Nicht ganz. XING meinte, für Profile sei nur eine «Korrektur von weniger als 4 Buchstaben» möglich, falls ich mich verschrieben hätte bei Profilerstellung oder wenn sich mein Nachname geändert hätte. Als sie dann den Gerichtsbeschluss sahen, revidierten sie ihre Meinung ganz schnell.

PayPal meinte erst, dass es nicht möglich sei, ein Konto auf eine andere Person zu übertragen. Das war Supportantwort 1. Supportantwort 2 etwa drei Stunden später erkannte dann, dass es doch gar nicht darum ging und veranlasste dann eine entsprechende Änderung.

Nach etwa drei Wochen

Knapp drei Wochen nach offiziellem Inkrafttreten meiner Personenstandsänderung hatte ich so alles Wichtige eigentlich geändert. Ich durfte auch wieder ganz offiziell im Ausland Autofahren.
Hatte das gute Gefühl, zumindest die wichtigsten Dokumente richtig zu haben.

Gestärkt mit diesem Selbstvertrauen schrie ich dann – für meine Verhältnisse – einen Postbeamten an, der mich schief ansah, als ich ein Paket abholen wollte. Sofern er mir nicht glauben wollte, hätte ihn spätestens die Polizei davon überzeugen können, dass hier alles korrekt ist. Wollte er dann aber doch nicht und gab vorher klein bei.

Anschreiben Sehr geehrte Frau Kastl, Sehr geehrter Herr Kastl

Währenddessen…

… schickte mir mein Stromanbieter einen zweifelhaften Brief adressiert an Herrn und Frau K., also an mich in einer Person und zwei unterschiedlichen Anreden. Mit der Bitte, dass ich doch meinen Stromvertrag von mir zu mir umziehen solle. Eigenartige Auslegung des Vertragsrechts, aber naja.

Außerdem bekam ich kommentarlos meine Bachelorurkunde per Post. Ausstellungsdatum November 2016. Meine Masterurkunde sollte dann vorher ausgestellt worden sein, mein Abiturzeugnis erst später.
Rein vom Ausstellungsdatum habe ich also zuerst den Master, dann den Bachelor und dann das Abitur gemacht. An meinem Gymnasium hatten sie die Software zum Erstellen meinen Abiturzeugnisses zumindest gefunden.
Teile meines Bachelorzeugnisses gibt es inzwischen mit drei verschiedenen Briefköpfen.

Bachelorzeugnis mit drei verschiedenen Briefköpfen

Rentenversicherung

Die Rentenversicherung war in dem ganzen Bürokratie-Dschungel die gemächlichste und unkommunikativste Einrichtung. Irgendwann Mitte Dezember kam nach sechs Wochen Bearbeitung ein Schreiben mit einer Rentenmitteilung zu meinen korrekten Daten und später ein Schreiben mit einer neuen Rentenversicherungsnummer (RVNR). Ja, in der RVNR ist das Geschlecht der jeweiligen Person kodiert. Block 50+!

Kosten bislang

Abgesehen von den Kosten des eigentlich TSG-Verfahren (1000+ Euro) entstanden mir erstaunlicherweise keine besonderen Kosten außer die Kosten für neuen Personalausweis und Führerschein. Das hat mich irgendwie selbst sehr überrascht.

Wars das?

Naja, im Prinzip ja. Ende Dezember hatte ich den Bürokratieparcours in den wichtigsten Zügen durch, der Mitte November begann. Mein Abiturzeugnis hatte ich Mitte Dezember in den Händen, mein Gasanbieter ließ sich noch bis März Zeit, um mir zu sagen, dass er das alles geändert hat.
Mein Masterzeugnis musste ich bei der zuständigen Fakultät mit deutlichem Hinweis auf die Rechtslage – wie soll ein Offenbarungsverbot durchgesetzt werden, wenn Dokumente das nicht zu Offenbarende offenbaren? – dann noch mal extra anfordern. An meinem Geburtstag knapp fünfeinhalb Monate später hatte ich das dann in den Händen.

Wie war das mit »dazu später mehr?«

Warum habe ich jetzt das eigentlich zusammengeklopft? Richtig, meine falsche Meldeadresse. Nach meiner Personenstandsänderung war es immer echt seltsam, dass ich bei den zwei Wahlen seitdem keine Wahlbenachrichtigung mehr bekam. Bei der letzten Bundestags-Wahl holte ich meine Wahlunterlagen persönlich ab, aber erst heute stellte sich raus, warum ich in der Zwischenzeit keine Wahlbenachrichtigungen bekommen habe: es ist wohl so, dass meine Meldeadresse wohl falsch ist. Naja, da ist bei dem Telefonat, um meinem Personenstand bei der Stadt Stuttgart zu ändern, wohl was nicht ganz richtig gelaufen. Name richtig, Meldeadresse falsch.
Irgendwas ist ja immer bei Fällen, die es eigentlich nicht gibt.

Bonus: Tipps für Unternehmen und öffentliche Stellen

  • Nicht nur Heirat oder Scheidung etc. sind Fälle, bei denen sich Personenstandseinträge ändern können, nein, bei einer Personenstandsänderung können sich sowohl Vorname als auch Geschlechtseintrag ändern. Baut eure Systeme lieber so, dass die damit auch zurecht kommen.
  • Der Geschlechtseintrag besteht rein juristisch aus mindestens vier möglichen Zuständen (männlich, weiblich, divers, «ohne eine solche Angabe ») (§ 22-3 PStG).
  • Macht Backups von eurer Software! Möglicherweise werdet ihr diese auch Jahre später noch brauchen, um Dokumente nach altem Muster zu erstellen.
  • Vielleicht müsst ihr manche Daten gar nicht erfassen. Datensparsamkeit und so. Muss dann nachher auch nichts geändert werden. Hallo $vorname $nachname ist auch ne passende Anrede.