Digitales zur Wahl: Die Grünen

Politik, Netzpolitik, Digitales, Grüne

Bianca Kastl

Es folgt: Die Wahrnehmung meines digitalpolitischen Bildungsauftrags zur Bundestagswahl 2021.
Also sehen wir uns mal an, was Parteien eigentlich in ihren Parteiprogrammen dazu stehen haben.
Dreiteilig: erstmal Wahlprogramm finden, lesen und dann noch auf meine Wahlkreiskandidatinnen eingehen.

Das ist eine mehrteilige Serie, ich mach das mal so Partei nach Partei. Ich krittel da noch etwas vorab an den Webseiten rum.

Die Grünen Webseite

Wir beginnen auch hier bei der Webseite und dem Weg zum Parteiprogramm.

Webseite der Grünen in der Desktopansicht

Der Weg zum Parteiprogramm ist erfreulich direkt. Zwei Klicks in etwa: Wahlprogramm der Grünen

Auf der Webseite gibt es die bekannte Cookie-Warnung, aber immerhin nicht standardmäßig aktiv mit allen Optionen, sondern Opt-in. Allerdings ist die Cookie-Konfiguration gelinde gesagt ungewöhnlich. Trotz nicht aktiver Cookies werden langlebige Matomo-Cookies gesetzt, mit aktiven Cookies dann noch ein Session-Cookie von Matomo. Eventuell hat da wer den Switch verdreht.

Im deaktivierten Cookie-Modus auf der Webseite der Grünen werden auch längerfristige Matomo-Cookies gesetzt, obwohl dies eigentlich rein logisch nicht der Fall sein sollte

Der Netzwerkstack ist aktuell (HTTP 2 +, wenig HTTP 1.1), allerdings gibt es halt auch viel externen Kram, teils auch von so Build-Tools (Vercel). CMS dahinter ist Craft. Wirkt halt etwas wie ein hippes Startup-Tech-Stack-Sammelsurium so.

Netzwerkgraph der Webseite der Grünen mit vielen Ressourcen von Drittanbietern wie Vercel oder Actionnetwork

Performance und andere Metriken sind so la la. 3 MB für die Startseite, Punkteabzug beim Thema Barrierefreiheit krankt an ARIA - first Rule of the ARIA Club: Don't use ARIA (at least when you don't understand it).

Lighthouse Scores der Grünen mit 86 Performance, 74 Barrierefreiheit von je 100 maximal möglichen Punkten

Das ist schade, denn eigentlich finden sich auf der Seite inhaltlich wunderschön formulierte Alt-Texte wie «Menschen sitzen im Dunkeln im Kino, auf der Leinwand sieht man den Anfang des Grünen Wahlkampf-Spots: drei Jugendliche in Sportkleidung. Aufschrift: "Bereit, weil Ihr es seid."»

Technisch also zwiegespalten, etwas mehr Qualitätschecks im Detail helfen da bestimmt.

Das Wahlprogramm aus digitaler Sicht selbst

Das Wahlprogramm der Grünen hat 272 Seiten und ein Inhaltsverzeichnis, das auch wieder dezent blumig klingt, aber eher in größere, zusammenhängende Themenkomplexe gegliedert ist. «Wir bringen die Digitalisierung voran». Mal schauen.

Titelbild des Wahlprogramms der Grünen Bereit wenn ihr es seid
Das PDF könnte dem Namen nach sogar barrierefrei sein, aber so genau kann ich da jetzt nicht nachhaken. Ebenso vorhanden ist eine Version in Leichter Sprache sowie Varianten als Audio. Und: eine Kurzfassung in Gebärden. Ein Bemühen um Zugänglichkeit ist hier also tatsächlich vorhanden. So sollte es sein!

Vorteil beim Wahlprogramm der Grünen ist auch ein vorhandenes Stichwortverzeichnis.

Wir bringen die Digitalisierung voran

Es gibt im Wahlprogramm der Grünen ein Schwerpunktthema Digitalisierung. Dieses enthält dann wieder Unterpunkte, wie etwa…

Eine europäische Cloud-Infrastruktur

Die Grünen denken in Richtung von kooperativen und dezentralen Datenpools und Datentreuhandmodelle mit dem Ziel, den innereuropäischen Datenaustausch zu vereinfachen. Klingt irgendwie wie GAIA-X, nur halt irgendwie noch mal anders verpackt. Fokus hier auch auf den Blickwinkel «Brauchen Daten wegen KI». Wäre ja schon mal froh, wenn das mit digitalem Austausch überhaupt mal angekommen wäre in Deutschland. Aber immerhin Open Source als Zielsetzung.

Gerade im industriellen Bereich wollen wir neue Ansätze schaffen, um eine gemeinsame, freiwillige Nutzung sowohl von nicht personenbezogenen als auch von personenbezogenen, aber anonymisierten Daten, zum Beispiel aus Entwicklungs- und Fertigungsprozessen, zu verbessern und rechtssicher zu gestalten.
Die eigene kritische Infrastruktur wollen wir schützen und eine gemeinsame europäische Cloud-Infrastruktur auf Basis von Open-Source-Technologien realisieren.

Hightech-Standort ausbauen

Fördern wollen die Grünen auch eine ganze Reihe von Technologien, aber auch mit ökologischem Fokus, eher so im Sinne einer Green Economy:

Vor allem die Bereiche Künstliche Intelligenz (KI), Quantencomputing-, IT-Sicherheits-, Kommunikations- und Biotechnologie oder auch die weitere Entwicklung von ökologischen Batteriezellen wollen wir besonders fördern, damit wir unsere technologische Souveränität sichern können und in der weltweiten Konkurrenz vorne mitspielen.
Wir wollen Finanzierungsformen gezielt für Gründungen von Startups der Green Economy anpassen und Barrieren beim Zugang zu Aufträgen der öffentlichen Beschaffung abbauen.

Wenn ihr Interoperabilität wollt, dann…

… habt ihr das auch mit den Grünen:

Die Interoperabilität ihrer Software [= der Internetgiganten] und ihrer digitalen Dienste sowie Datenportabilität und offene Schnittstellen sind wo immer möglich von bereits marktbeherrschenden Unternehmen verpflichtend zu gewährleisten.

Versuch der Eindämmung von Internet-Giganten

Bei Akquisitionen wollen die Grünen auch ein Mitspracherecht der Datenschutzbehörden, ebenso versuchen sie den Wettbewerb und Mono- oder Oligopole politisch eher einzudämmen. Diese Thematik nimmt generell eher viel Raum im Parteiprogramm ein.

Relevante Erwerbsvorgänge von Tech-Konzernen sollten durch das Bundeskartellamt geprüft werden, um den strategischen Aufkauf von aufkeimender Konkurrenz („Killer Acquisitions“) zu verhindern. Dabei sollten Datenschutzbehörden eine Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

Geschlechtervielfalt in der Digitalwirtschaft

Die Grünen versuchen die Thematik Geschlechtervielfalt in der Digitalwirtschaft auch ganz gezielt zu fördern. Grundsätzlich ein wichtiges Thema, vielleicht bin ich dann ja bald nicht mehr der Hauptteil einer eher geringen Frauenquote in Digitalausschüssen oder auf IT-Sec-Konferenzen.

In der Digitalbranche ist ein Kulturwandel erforderlich, auch um unser volles Innovationspotenzial auszuschöpfen. Freiwillige und verpflichtende Maßnahmen für die Unternehmen sind notwendig, um diskriminierungsfreie Arbeitsplätze und einen gleichberechtigten Zugang zu Gestaltungspositionen in der digitalen Transformation
zu ermöglichen. Bei der Vergabe von Fördermitteln und öffentlichen Investitionen muss der Frauenanteil einer Organisation bzw. eines Start-ups berücksichtigt werden. Für staatliche Institutionen soll Diversität ein Leitprinzip für alle Digitalstrategien sein.

Transparente Algorithmen

Bei dem Thema KI und Algorithmen haben die Grünen erkannt, dass diese biased sind. Und das es ein Verantwortungsproblem gibt, falls ein Algorithmus irgendwas entscheidet, was Menschen benachteiligt. Diese Standards sollen auch auf europäischer Ebene gelten:

Wir wollen daher Qualitätskriterien sowie die europäischen Anstrengungen für Transparenz und Überprüfbarkeit vorantreiben, damit algorithmische Entscheidungssysteme nicht diskriminierend wirken. Wir setzen uns ein für einen nach Risiken abgestuften europäischen Ordnungsrahmen für den Einsatz automatischer Systeme, klare Regeln zur Nachvollziehbarkeit, zum Datenschutz, zum Arbeitsrecht und zur Datenqualität, um Kontrolle und Haftung, aber auch Rechtssicherheit für betroffene Betriebe zu ermöglichen.

IT-Sicherheit als Standortfaktor

Die Grünen fassen das Thema IT-Sicherheit eher sehr allgemein umfassend. Nach einer blumigen Einleitung folgen ein paar konkrete Aspekte:

Wir setzen Anreize für guten Datenschutz und beste IT-Sicherheit, wollen innovative, technische Ansätze zum effektiven Schutz der Privatsphäre ausbauen und Auditierungen und europäisch einheitliche Zertifizierungen vorantreiben.

Hier sind wir also wieder bei dem Thema mit Zertifizierungen oder Siegeln im Kontext IT-Sicherheit, aber auf europäischer Ebene.

Die Unabhängigkeit des BSI stärken wir.

Free BSI, äh.… Unabhängigkeit für das BSI.

Bei staatlichen IT-Projekten muss IT-Sicherheit von Anfang an mitgedacht und implementiert werden.

Nein, doch, oh. Eigentlich gilt das für alle Projekte, ist aber vielleicht ein Beispiel für einen der eher inhaltsleeren Sätze im Parteiprogramm.

Im Sinne der Nachhaltigkeit digitaler Produkte führen wir eine Verpflichtung zu einer angemessenen, risikoorientierten und benutzerfreundlichen Bereitstellung von Sicherheitsupdates ein.

Sicherheitsupdates für eine gewisse Zeitspanne im Zusammenhang mit Software sind auch Teil des Wahlprogramms der Grünen.

Andererseits wollen wir die technologische Unabhängigkeit Europas durch verstärkte Eigenentwicklungen und Produktionen, durch vielfältige digitale Ökosysteme und offene Standards stärken. Um Gefahrenlagen konkret bewerten zu können, müssen neben technischen auch rechtliche, rechtsstaatliche, sicherheitsrelevante und geostrategische Aspekte in die Prüfung einbezogen werden. Eine Beteiligung von nicht vertrauenswürdigen Unternehmen, insbesondere aus autoritären Staaten, an kritischer Infrastruktur lehnen wir ab.

Die Grünen tendieren auch in Richtung digitaler Souveränität auf Hardware- und Softwarebasis, der explizite Verweis auf autoritäre Staaten ist da aber schon sehr klar (wenn auch wieder nicht klar ist, was autoritäre Staaten im Sinne der Grünen meint).

Bis hierhin war es oftmals sehr nett klingend, aber irgendwie eher unkonkret.
Kommen wir zu konkreteren Stichworten.

Digitalisierung der Gesundheitsversorgung

Die ePa wird bei den Grünen mit eingebunden, aber weiterentwickelt werden, die Forderungen zur ePA oder deren Weiterentwicklung klingen aber nicht wirklich neu:

Damit sie den Patient'innen wirklich nützt, muss die elektronische Patientenakte weiterentwickelt werden und für alle Patient*innen einfach zugänglich und verständlich sein;
Eine Weitergabe der Daten erfolgt dabei nicht gegen den Willen der Patient'innen.

Open Data findet auch bei den Grünen statt:

Die Ergebnisse, die aus weitergegebenen Gesundheitsdaten gewonnen werden, sollen der Allgemeinheit nach dem Open-Data-Prinzip zur Verfügung stehen.

Ebenso die Notwendigkeit von Barrierefreiheit im digitalen Raum (aber auch das ist nichts Neues streng genommen):

Alle von der Solidargemeinschaft finanzierten digitalen Angebote müssen barrierefrei sein und den höchsten Ansprüchen an Datenschutz und Datensicherheit genügen.

Mobilfunkversorgung / Breitbandversorgung

Wird bei den Grünen immerhin zur Daseinsvorsorge erhoben, aber eher unkonkret, wann das kommen soll und wie ein Mindeststandard da aussehen soll:

Eine ausreichend schnelle Breitband- und Mobilfunkversorgung gehört zur Daseinsvorsorge
Für zentrale Versorgungsbereiche wie Gesundheit, Mobilität und Breitband wollen wir nötige Mindeststandards formulieren

Glasfaser

Hier sind die Grünen in ihrer Zielsetzung zumindest klar:

Unser Ziel ist schnelles, kostengünstiges und zuverlässiges Glasfaserinternet (FTTB) in jedem Haus.

Netzneutralität

Auch hier sind die Grünen ausnahmsweise klar:

Die Netzneutralität wollen wir weiter absichern und konsequent durchsetzen.

Mobilfunkroaming

Auch hier sind die Grünen klar im Vorgehen: wenn weiße Flecken, dann notfalls Roaming.

Beim Mobilfunkausbau gilt es eine flächendeckende Versorgung sicherzustellen, egal in welchem Netz man surft. Wo die Anbieter keine Kooperationsvereinbarungen treffen, um Funklöcher zu schließen, muss notfalls lokales Roaming angeordnet werden, natürlich mit entsprechender Vergütung

Kryptowährungen

Hier sind die Grünen eher sehr indifferent, kann alles sein, was da dahinter steckt:

Wir wollen den rasanten Entwicklungen im Bereich dezentraler Finanzanwendungen gerecht werden und die Chancen und Risiken von Kryptowährungen und Blockchains differenziert ausloten.

Digitale Teilhabe

Hier haben die Grünen zumindest auch die Probleme erkannt und versprechen Möglichkeiten zur Teilhabe:

Wir stärken die digitale Bildung als Gemeinschaftsaufgabe von Eltern, Bildungseinrichtungen und der Jugendhilfe mit Fortbildungen für Fachkräfte und Unterstützungsangeboten für Eltern. Alle sollen digitale Kompetenzen erwerben können, das geht nur mit entsprechender Hardware und Internetanbindung: Kinder, die in Armut leben, erhalten für die Schule ein digitales Endgerät, wenn sie dieses benötigen.

Digitalsucht

Fast schon klassisch Grün gibt es auch aber einen diplomatischen Satz zum Thema Suchpotenzial digitaler Anwendungen.

Auch dem Suchtpotenzial und den Gesundheitsrisiken der übermäßigen Nutzung digitaler Anwendungen möchten wir begegnen.

Versuch eines Fazits zum Wahlprogramm

Das Programm der Grünen liest sich aus digitaler Sicht erstaunlich … schwammig an manchen Ecken. Mir ist es an vielen Ecken sehr unkonkret, es enthält viele Aspekte, wird aber bei dem Wie oder Wann der Umsetzung oftmals unkonkret. Hier waren andere Parteien konkreter und klarer positioniert. Vielleicht hätte alles so klar sein sollen wie die Formulierungen im Abschnitt «Schnelles Internet überall». Aber naja, irgendwie stand es ja schon auf dem Titel: Alles ist drin.

Cem Özdemir - Wahlkreis Stuttgart I

Es folgt der Stuttgart spezifische Teil. Wahlkreisabgeordneter ist Cem Özdemir.
Digital erreichbar über Homepage, allerlei sozialen Medien, auch Twitter und sein Profil bei Abgeordnetenwatch ist vorhanden, aber vielleicht etwas wenig gepflegt.

Profil von Cem Özdemir bei Abgeordnetenwatch mit 54 von 183 beantworteten Fragen

Themen: viele. Cannabis-Legalisierung, Integration, soziale Themen. Auch eines zum Thema IT und Öko. Allerdings erschließen sich mir die genauen konkreten digitalen Forderungen nicht. Es klingt eher wie so ein generelles Feel-Good «Digitalisierung ist toll» Narrativ ohne spezifische digitale Forderungen.

Soviel zum Thema Grüne. Folgen sie diesem Kanal bald auch für weitere tiefergehende Analysen der anderen Parteien, die sich unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung verpflichtet fühlen.