Datenkraken und grafische Chiffren

Geschichte, Antisemitismus, Antifaschismus, Sprache

Bianca Kastl

Gestern wurde ich auf Mastodon mehr oder weniger spontan in eine Diskussion verwickelt, die sich mit der Begrifflichkeit der Krake, bzw. genauer der Datenkrake beschäftigt.

Weil ein Thread in sozialen Medien zur umfassenden Erklärung dieser doch meist komplexen Zusammenhänge meist nicht ausreicht, hier eine längere Erklärung.

Ist die (Daten)krake als solches ein problematischer Begriff?

Wenn es um die Tiere als solche geht, schon mal gar nicht.
Problematisch wird das ja immer erst dann, wenn man Begriffe aus einem Bereich in einen anderen überträgt.

Die Datenkrake ist so eine Übertragung eines Begriffs auf einen anderen Bereich.

Es ist nicht so, dass Nationalsozialisten sprachlich tierische Vergleiche nicht genutzt hätten, allerdings waren das im Falle Hitlers und der Propaganda eher die «Ratten».

Datenkrake ist als reiner Begriff sprachlich m.E.n. allein wenig problematisch, wenn wir Bilder dazu außen vor lassen können. Es ist ein neuer Begriff, der ja auch erst in den letzten Jahren erdacht wurde.
Da steckt in der reinen Begrifflichkeit der Datenkrake keine historische Problematik dahinter, zumindest im deutschsprachigen Raum, … aber.

Aber wo wird es mit der Krake problematisch?

Nun, die Krake hat vor allem als grafisches Bild eine antisemitische Bedeutung.

«Stürmer» 1938, oder?

Oftmals wird in verschiedenen Artikeln in der letzten Zeit, die allesamt meist die grafische Darstellung von Kraken in Karikaturen anmahnen - und das meiner Meinung nach berechtigt - erwähnt, es hätte da auf einem Titel des »Stürmer« von 1938 eine antisemitische Karikatur gegeben, die das Judentum als Krake darstelle, die die Welt an sich reißen wolle.
Wir sprechen von diesem Bild

Es gab im »Stürmer«, einer der hetzerischsten und antisemitischsten Zeitungen in Deutschland, viele antisemitische Bilder, auch mit Tieren, seien es Schlangen, Spinnen, Ratten oder sonstigem. Aber die oftmals zitierte Kraken-Karikatur gab es dort nicht – in der Kürze der Zeit konnte ich aber keinen definitiven Beweis in der nächstgelegenen Landesbibliothek antreten.

Dagegen spricht aber schon anhand der Art der vorliegenden Karikatur folgendes:

  • die Karikatur ist farbig in hellbau, der »Stürmer« war zu der Zeit einfarbig schwarz
  • der Duktus der Strichführung ist ein anderer

Wo die Karikatur wahrscheinlich herkommt - Eingrenzung

Das heißt aber nicht, dass es keine Karikatur dieser Art gab und jetzt alles problemlos als Krake zu karikieren sei.
Die oft zitierte Karikatur ist diese hier und sie existiert, allerdings ohne genauen Hinweis, aus welchem Kontext genau diese stammt:
Verweis auf das USHMM

Eine antisemitische Karikatur von «Seppla» (Josef Plank) aus dem Jahr 1938 (?), bei der eine Krake mit einem an Churchill angelehnten Kopf die Welt an sich reißen will. Allerdings ist das – laut Karikatur - nicht die »Krake« allein, sondern über ihm schwebt ein Davidstern. Hier sind wir dann bei der Verschwörungstheorie der »jüdischen Weltbeherrschung« und klar beim Antisemitismus.

Die Jahresangabe der Karikatur ist mit 1938 eventuell unpräzise und auch die genaue Quelle / Erscheinung ist nicht exakt definiert, aber es ist anzunehmen, dass die Karikatur in «Die Brennessel», einer nationalsozialistischen Satirezeitschrift, erschien oder zumindest in deren näherer Umgebung ersonnen wurde.
Dafür spricht auch eher der farbliche und stilistische Duktus, vgl. Ausschnitte beim Propaganda-Museum. «Seppla» gehörte auch zum festen Kreis der Zeichner der «Brennessel».
«Die Brennessel» war eine Art seriöse Form des «Stürmer» und eine Art Gegenentwurf zum «Simplizissimus». Um zu verifizieren, wo genau die Karikatur publiziert wurde, sei verwiesen auf die Ausgaben in den entsprechenden Bibliotheken. Da die «Brennessel» eine Wochenzeitschrift war und diese von 1931 bis 1938 erschien, kann eine genaue Recherche hier etwas dauern.

Das Detail mit der Anlehnung an Churchill mag etwas ungewöhnlich für das vermutete Jahr 1938 wirken – Churchill war im Jahr 1938 ohne politisches Amt, aber klarer Kritiker der Nationalsozialisten – allerdings muss darauf verwiesen werden, dass Churchill im ersten Weltkrieg und der Zeit darauf Kriegsminister und später Kolonialminister Großbritanniens war, siehe Biografie. Er war aus deutscher Sicht auch Teil des Feindbildes, das für die «Schmach von Versailles», den Friedensvertrag nach dem 1. Weltkrieg, verantwortlich war.
Die Jahreszahl kann also (vorerst) nicht bestimmt werden, aber es ist belegbar, dass diese Karikatur in der Form aus der Feder von Josef Plank stammt und zwischen 1935 und 1943 entstanden ist. Sie findet sich auch in der entsprechenden Sammlung des amerikanischen Congress.

Weitere historische Bilder dieser Art

Die Karikatur Churchills als Tentakel, Krake oder Polyp, der von Juden gesteuert sei, ist in der Form auch häufiger vorgekommen, vgl. eine weitere Karikatur aus dem Jahr 1942 oder in den «Lustigen Blättern».
Es ist also nicht nur diese eine Karikatur, die historisch dieses antisemitische Bild der Krake geprägt hat, es gibt weitere sehr ähnliche aus dem Zeitraum des Nationalsozialismus.

Proteste

Zu grafischen Nachstellungen dieser Karikaturen (besonders schwierig wird es bei Tentakeln und Weltkugeln o.ä.) gab es in den letzten Jahren mehr als genügend Proteste und das m.E.n. zurecht.
Warum die Krake eine antisemitische Chiffre ist
Über strukturellen Antisemitismus
Die Fallhöhe der Krake

Hier sind wir also bei der hochproblematischen Komponente der Krake: eine Krake im übertragenen Sinne, die die Welt, Daten oder sonst was grafisch an sich reißt, ist – ob man das will oder nicht – potenziell antisemitisch konnotiert. Das liegt interessanterweise nicht direkt an der Krake allein, sondern an dem imaginären Davidstern von damals, der über ihr schwebt. Und das geht auch nicht unbedingt durch die gute Absicht der Menschen wieder weg, die das in Zukunft vielleicht unbelastet verwenden wollen.

Und nun?

Rein von der Begrifflichkeit wäre das weniger problematisch, nur ist das halt ein Begriff, der in einer möglichen grafischen Umsetzung wenig Spielraum bietet, ohne antisemitische Assoziationen zu wecken.

Eine Datenkrake zu benennen ist m.E.n. okay, eine Datenkrake abzubilden wird aber schneller nach hinten losgehen als einem selbst lieb ist.

Und da sind wir dann beim Problem: Wieso ein Bild nehmen, dass man zwar nennen kann, aber nicht ohne Einschränkungen darstellen oder abbilden kann?

Um mit Arne Vogelgesang zu sprechen:
Let's play Infokrieg

Vielleicht kann man ja mal damit aufhören und was Besseres finden.